Einer der ganz großen Protagonisten seiner Sportart, hat vor Kurzem sein Karriereende bekanntgegeben: Maximilian Levy hat so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Über seine Erfolge, seine Anfänge im Sport, seine Wegbegleiter, aber auch schwere Momente, sprach er mit uns. Was er uns erzählt hat, lest ihr in den folgenden Zeilen:
Hallo Maximilian, erzähl uns doch bitte kurz, wo du groß geworden bist und wie du deine Kindheit verbracht hast.
Ich wurde 1987 im damaligen Ostteil Berlins geboren und bin dort auch groß geworden bis 1999. Für mich war das Fahrrad bereits damals ein Fortbewegungsmittel, welches mir eine gewisse Freiheit in dieser Großstadt gab. Ich habe mir dann allerdings einige Räder klauen lassen, vielleicht auch, weil ich nicht sehr ehrgeizig beim Anschließen war. Meine Eltern waren dann der Meinung, dass es so nicht weitergehen kann. Sie meinten, wenn ich weiter Fahrrad fahren will, dann solle ich es in einem Verein probieren. So nahmen die Dinge ihren Lauf. Ich kam 1996 zum Berliner TSC. Man verfügte sogar über eine abgesperrte Trainingsstrecke. Dort habe ich dann also das Rennradfahren erlernt. Was mich damals sehr motivierte, war die Tatsache, dass die guten Sportler ihre Räder mit nach Hause nehmen durften. So hatte ich also wieder ein Fahrrad zur Verfügung. Wir wohnten in einer Altbauwohnung und meine Eltern besorgten einen Flaschenzug, so dass ich das Rad in meinem Zimmer unter die Decke ziehen konnte. Es wurde so also zu meinem ständigen Begleiter.
Einer deiner Trainer in Cottbus war Rainer Gatzke, welcher von einem unserer vorherigen Interviewgäste, Juri Hollmann, in höchsten Tönen gelobt wurde. Wieso war er nur ein Jahr lang dein Trainer und wie war euer Verhältnis zueinander?
Ich war in Berlin auf der Sportschule. Das lief aber in meinen Augen nicht optimal und auch meine schulischen Leistungen haben darunter gelitten. Ich habe meinen Eltern dann kommuniziert, dass ich den Sport gerne ernsthafter betreiben möchte. Es blieb nur die Möglichkeit, irgendwo hinzuwechseln, wo professionelle Bedingungen herrschen. In meinem Fall war das dann die Sportschule in Cottbus, welche auch als Olympiastützpunkt dient. Normalerweise werden dort Einsteiger in der 7. und 9. Schulklasse aufgenommen. Meine Eltern kamen dann ins Gespräch mit Rainer Gatzke, dieser sah mich fahren und sagte: „Für den machen wir eine Ausnahme“. So wurde ich als Achtklässler aufgenommen. Er war damals Schülertrainer, also für meine Altersklasse zuständig. Ein Jahr später bin ich zu den Junioren aufgestiegen und bekam einen neuen Trainer. Er ist aber auf jeden Fall ein guter Mann.
Wen würdest du als den größten Mentor in deiner Karriere nennen?
Wenn man 20 Jahre auf diesem Level gefahren ist, dann gibt es viele Leute, die einem weitergeholfen haben. Deshalb wäre es unfair, nur eine Person zu benennen. Sicherlich sind meine beiden Sprinttrainer Reneé Schmidt und Eyk Pokorny aber diejenigen, die mir das A und O beigebracht haben. Reneé hatte mich als Junior auf der Bahn übernommen und zum Sprinter geformt. Mit Eyk habe ich dann seit 2007 zusammengearbeitet.
2005 hast du bei einem Weltcup in Manchester Gold im Keirin gewonnen. Du warst zu diesem Zeitpunkt noch Junior. Wie haben die etablierten Fahrer darauf reagiert und wie ging es dir selber damit, den „alten Säcken“ um die Ohren zu fahren?
So sieht man das als 18-jähriger natürlich nicht. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits fünfmal Juniorenweltmeister und fuhr nur 7 Tausendstel über dem Juniorenweltrekord, welcher aber auf 4.000 m Höhe aufgestellt wurde. Meine Zeit betrug 10,1 Sekunden. Als ich gewonnen habe, schauten mich die anderen Fahrer an und fragten: „Bist du der Junior, der die 10,1 gefahren ist?“. Ich sagte „ja“, und daraufhin wussten sie dann, warum ich das Rennen gewonnen habe. Sie haben mich einfach unterschätzt oder waren mit sich selbst beschäftigt. Keiner kannte den jungen Deutschen und man ließ mich einfach fahren. So einfach ist es manchmal.
2018 warst du in Cottbus auf der Bahn, als deine Teamkollegin Kristina Vogel* schwer stürzte. Wie hast du diesen Moment erlebt?
Es ist natürlich nie schön, einen Sturz hautnah mitzuerleben. Man hört meist bereits am Geräusch, wie schlimm es ist. Oft ist es im Radsport so, dass es schlimmer aussieht, als es letztendlich ist. Bei dem Geräusch war aber schnell klar, dass es ein heftiger Aufschlag war. In dem Moment selber möchte man aber gar nicht allzu viele negative Gedanken zulassen, sondern man hilft erstmal so gut es geht.
Hat es dich als Sportler nachhaltig verändert? Immerhin warst du ja zu diesem Zeitpunkt bereits Familienvater.
Ich glaube, das hat jeden verändert, in erste Linie aber als Mensch und weniger als Sportler. Wenn du so etwas live erlebst und jemand, den gut kennst und zu dem du eine freundschaftliche Verbindung hast, danach den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzt, dann macht das etwas mit einem, unabhängig vom Sport.
Du hast unzählige Medaillen gewonnen, warst mehrmals deutscher Meister, Europameister, Weltmeister, Weltcupsieger und hast olympisches Edelmetall gewonnen. Du wirst sicher oft nach dem schönsten oder schwierigsten Moment gefragt, was bei deiner langen Karriere aber sicher schwer zu beantworten ist. Welcher war denn aber der kurioseste Moment, den du in einem Wettkampf erlebt hast?
Da fällt mir spontan etwas ein. Von der japanischen Keirin-Serie JKA, gab es einmal jährlich ein Rennen in Europa. Der Sieger qualifizierte sich für die Serie und dazu gab es ein stattliches Preisgeld. Als Sieger eines Weltcuprennens erhältst du 650 €, dort gab es für den Sieger 15.000 €. Ich hatte mir 2010 das Schlüsselbein gebrochen, natürlich im Keirin, und dieses Rennen war das erste Keirinrennen nach der Verletzung. Zeitgleich sind wir im Weltcup aber auch noch im Teamsprint gefahren. Ich hatte eigentlich überhaupt keine Lust auf das Rennen, auch wenn das Preisgeld verlockend war. Grundsätzlich war ich aber nie jemand, der die Dollarzeichen in den Augen hatte. Ich fragte also den Bundestrainer, wie wir das lösen können. Meine Idee war, dass er mich zu früh anschiebt, oder ich das Derny überhole, sodass ich disqualifiziert werde. Er redete mir aber gut zu, sagte: „Jetzt fahr doch erstmal. Vielleicht findest du ein gutes Hinterrad“. So ging es das ganze Turnier, am Ende habe ich gewonnen. Ich habe ihm dann abends an der Bar einen ausgegeben. (schmunzelt)
Wenn man ohne Druck fährt und der Kopf frei ist, kommen manchmal solche Ergebnisse dabei heraus.
Du hast gerade das Thema Preisgeld angesprochen. Was sagt dir die Zahl 1273,80 €?
(lacht) Ich glaube, das gibt es für zwei Europameistertitel.
Ist es nicht traurig, dass man für solche Leistungen mit dieser geringen Summe entschädigt wird?
Es ist ein schwieriges Thema, was uns auch schon lange begleitet. Klar sind Preisgelder wichtig, denn von irgendetwas muss man ja leben. Am Ende fahre ich aber Radrennen, um zu gewinnen, und nicht wegen des Preisgeldes. Sicherlich ist es schwer, diese Summe als Wertschätzung zu empfinden. Für einen deutschen Meistertitel bekommt man 60 €. Setzt man beides ins Verhältnis, dann passt es wieder.
Das Hauptproblem ist, dass der Bahnradsport viele Disziplinen hat. Wenn man bei jeder Disziplin für den Sieger 10.000 €, für den zweiten Platz 5.000 € und für den Drittplatzierten 2.000 € ausschüttet, dann wäre das für uns natürlich schön, aber gleichzeitig wird es dann so teuer, dass niemand mehr ein Rennen veranstaltet. Am Ende müssen wir froh sein, dass Menschen sich engagieren und überhaupt Rennen durchführen. Als letztes guckt man dann aufs Preisgeld. Es herrscht leider auch eine verschobene Wahrnehmung in Deutschland. Die Leute denken, als Europameister hast du ausgesorgt. Sie werden massiv durch den Fußball und die Summen dort gelinkt. Man kann dahingehend nur aufklären, aber sollte sich nicht frustrieren lassen. Dadurch bekommt man es leider auch nicht geändert.
Du hast vor Kurzem deine aktive Karriere beendet und wirst in Zukunft Bundes-Jugendtrainer. Vom wem ging diese Entscheidung aus und welche anderen Optionen gab es für dich?
Wir waren schon länger in Gesprächen darüber und es klang von Anfang an durchaus reizvoll für mich. Ich wollte eigentlich etwas anderes machen, habe ja auch mal Industriekaufmann gelernt. Trotzdem schlägt das Herz für den Sport. Als dann das Angebot kam, habe ich mich ernsthaft damit beschäftigt. Meine Frau meinte zu mir: „Wer, wenn nicht du? Du hast so viele Ideen, musstest dich so oft weiterentwickeln. Du musst es machen. Es wäre sonst verschwendetes Potential“.
So kamen wir also ins Gespräch und haben uns geeinigt. Ich freue mich darauf, dem Radsport weiter erhalten zu bleiben. Wenn du den Sport jahrelang auf diesem Level betrieben hast, dann kommen 80-90 % deines sozialen Umfelds auch aus dem Sport. Wenn du ausscheidest und diese Menschen auf einmal alle nicht mehr da sind, dann ist es schon heftig. So gibt es mir die Möglichkeit, einen Großteil der Kontakte aufrechtzuerhalten.
Du wirst dem Sport erhalten bleiben, etwas Besseres kann ihm gar nicht passieren. Schließlich hast du einen großen Erfahrungsschatz gesammelt, den du weitergeben kannst.
Ich denke und hoffe, dass es für alle eine runde Sache wird. Ich bin natürlich auch lernwillig und komme nicht daher um zu sagen: „Ich bin Max Levy, ich kann alles, ich weiß alles und jetzt hört ihr mir mal zu“. Ich möchte mich natürlich entsprechend weiterbilden. Was ich sicher aber bereits jetzt gut vermitteln kann, sind Emotionen, Kampfgeist und Motivation. Das sollte mir ganz gut liegen und ist auch genau das, was man gesucht hat. Einfach jemand, der die jungen Sportler erreicht und ihnen im Zweifel auch mal in den Allerwertesten tritt.
Thema Motivation ist ein guter Punkt. Du hattest in deiner Karriere einige Verletzungen, unter anderem drei Schlüsselbeinbrüche. Woher hast du deine Motivation gezogen, dich nach solchen Verletzungen immer wieder zurück zu kämpfen? Man hätte ja nach dem dritten Schlüsselbeinbruch auch durchaus resignieren und die Karriere beenden können.
Zumal der Sturz und die Nachwirkungen beim zweiten Schlüsselbeinbruch extrem schwer waren. Durch die Entzündungen, welche in meinem Körper vonstattengingen, war ich am Ende ein dreiviertel Jahr raus. Mir wurden Beckenknochen transplantiert, um das Schlüsselbein wieder aufzubauen. Das ist natürlich eine Situation, die man keinem wünscht. Trotzdem hat in der Zwischenzeit eine Bewusstwerdung stattgefunden. Was will ich vom Leben, was will ich vom Sport? Mir ist einfach klar geworden, dass es einer der schönsten Jobs der Welt ist, so hart er auch manchmal sein mag. Ich habe aber für mich festgestellt, dass ich nichts anderes machen möchte, auch wenn ich für einen Europameistertitel nur 600 € bekomme. Das ist es nicht, was mir den Kick gibt. Insofern habe ich mich dann immer wieder aufgerappelt. Beim letzten Schlüsselbeinbruch gab es auch einen Moment wo ich dachte: „Ok, es gibt jetzt 2 Möglichkeiten. Entweder ich bleibe hier liegen, lasse mich vom Krankenwagen wegfahren und stehe nicht mehr auf, oder ich reiß mich zusammen, springe aufs Rad und bekomme das auf die Reihe.“ Eine Woche später bin ich ein Sechstagerennen gefahren. Das war einfach wichtig für den Kopf, auch wenn es für den Heilungsprozess sicher nicht optimal war. Ich musste für mich einfach eine Entscheidung treffen.
Wenn du zurückblickst, gab es sicher viele harte Gegner, die es dir echt schwer gemacht haben auf der Bahn…
Ich hatte keine Gegner, ich hatte nur Opfer! (lacht)
So kann man es auch sehen. Gab es denn aber auch so richtige Drecksäcke, die unsauber gefahren sind?
Gab es natürlich, aber die möchte ich nicht nennen. So etwas wäre doch sehr unsportlich und man sieht sich ja immer zweimal im Leben.
Wenn du einen Wunsch frei hättest für die Menschheit oder den gesamten Planeten: Welcher wäre das und warum?
Den habe ich nicht, daher kann ich auch keinen Wunsch benennen. Von mir aus sollen gerne alle gesund bleiben und Spaß miteinander haben, am besten auf dem Fahrrad. Aber mit solchen Luftschlössern beschäftige ich mich eher selten, deshalb habe ich spontan keine bessere Antwort parat.
Wir ziehen unseren virtuellen Hut vor so einer großartigen Karriere, sagen artig „Danke“ für das Interview und wünschen Maximilian Levy nur das Beste für seinen neuen Job als Trainer. Er hinterlässt eine große Lücke und hat den Bahnradsport geprägt, wie nur wenige vor ihm. Er war nicht nur sportlich ein ganz großer, sondern ist auch charakterlich eine echte Type. Eine Kombination, wie sie immer seltener anzutreffen ist im Profisport. Wir vom Sport Talk, werden seinen Weg auf jeden Fall weiter verfolgen. Ihr auch?
Wenn euch das Interview gefallen hat, dann schaut doch einfach regelmäßig auf unserer Seite vorbei und empfehlt uns weiter. Man liest sich…
*Kristina Vogel (*10. November 1990) ist eine der erfolgreichsten Bahnradsportlerinnen aller Zeiten. Neben diversen Weltmeistertiteln und olympischen Goldmedaillen, stellte sie auch mehrere Weltrekorde auf.
Am 26. Juni 2018 stürzte Kristina Vogel beim Training im Cottbuser Radstadion nach einer Kollision mit einem niederländischen Fahrer und zog sich einen Trümmerbruch des Brustbeins, sowie eine schwere Wirbelsäulenverletzung zu. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl.
Fotos: Drew Kaplan, unbekannt
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